In einem kürzlichen Video, das ich sah, wurde über die Akzeptanz und möglichen Folgen eines Austritts aus dem Euro diskutiert. Mir wurde schnell klar: Wir haben im Kern kein Problem mit dem Euro. Die Kritik an unserer gemeinsamen Währung ist vielmehr ein Symptom einer tieferen Unzufriedenheit. Sie ist ein Sündenbock für komplexe Entwicklungen, die viel stärker auf das subjektive Wohlbefinden der Bürger Einfluss nehmen.
Die Kritik an der Eurozone wird oft von einer lautstarken Presse befeuert, die andere EU-Länder tendenziös darstellt. Doch sie übergeht die Transformationen, die unser Land in den letzten zehn Jahren durchlaufen hat. Von zentraler Bedeutung ist hier der Wandel von der sozialen Marktwirtschaft zu einem eher anglikanischen Kapitalismus. Arbeitsmarktreformen (Hartz), Rentenreformen (Riester und Co.) und Gesundheitsreformen (Gesundheitsfond, Fallpauschalen und Privatisierung) haben das soziale Sicherheitsgefühl, die Rentenaussichten und die Gesundheitsversorgung der Bürger erheblich beeinflusst.
Diese Reformen, zusammen mit der Tatsache, dass Kapitalerträge besser gestellt wurden als Arbeitsleistungen, haben dazu beigetragen, dass Mittel von unten nach oben umverteilt wurden. Die Globalisierung ermöglichte es, Gehälter gering zu halten und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Doch das hat seine Nebenwirkungen: Corona und der Ukrainekrieg haben den Mechanismus gestört, und wir erleben nun eine Inflation, besonders bei den Energiepreisen.
Zudem gewinnen große Unternehmen und ihre Aktionäre, während Verluste sozialisiert werden. Dies ist einer der Hauptprobleme unserer Zeit und spiegelt die Macht von Kapital gegenüber Arbeitnehmern und „Normalbürgern“ wider. Diesen Einfluss auf die Politik spüren wir unabhängig davon, wer gerade die Mehrheiten hat.
Diese Umverteilung von unten nach oben sollte gestoppt werden. Arbeit und Kapital müssen gleich behandelt werden. Die Politik darf sich nicht durch Konzerne erpressen lassen und muss sich primär den Bürgern verpflichten.
Vor diesem Hintergrund scheint es bequem, den Euro oder die EU als Sündenbock zu nutzen, statt die tieferliegenden Probleme anzugehen. Aber wir sollten vorsichtig sein, uns an unsere Geschichte erinnern und lieber Lösungen suchen.
Die aktuelle Situation zeigt auch die Notwendigkeit einer stabileren Wirtschaft und einer gerechteren Verteilung des Reichtums. Es war eine Zeit, in der Durchschnittsverdiener sich ein Eigenheim leisten konnten, teilweise nur mit einem Gehalt in der Familie. Heute sind wir in einigen Regionen schon an einem Punkt, wo ohne hinreichendes Eigenkapital nichts mehr geht.
Es ist an der Zeit, die Macht von Konzernen in Frage zu stellen und dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr Einfluss haben als der Durchschnittsbürger. Dabei geht es um den Erhalt unserer Erde, den Zugang zu Bildung für alle – unabhängig vom sozialen Status oder dem ethnischen Hintergrund, und um ethische Grundsätze – insbesondere im Umgang mit Technologie und Daten.
Der Weg nach vorn besteht darin, Arbeit und Kapital gleich zu behandeln, und das fängt damit an, dass sie gleich besteuert werden. Das Steuersystem sollte durch einfache, klar definierte Regeln geregelt werden, die sich an der Realität orientieren. Die Lösung liegt nicht darin, den Euro oder die EU als Sündenbock zu nutzen, sondern in mutigen, zukunftsorientierten Reformen.